Freitag, 24. April 2015

Und der Alltag verfliegt

Schon seit Ewigkeiten habt ihr nichts mehr von mir gehört. Doch es hat sich über die Zeit so viel hier verändert, was nun auch schon wieder Alltag geworden ist. In meinem eigenen Zimmerchen in einer Familie im Stadtviertel El Lido, etwas weiter südlich von Cali, das ich mir mit Magdalena, einer besonders lieben Mitfreiwilligen, teile, fühle ich mich in unserem Chaos wohl, obwohl wir inzwischen einen ziemlich weiten Arbeitsweg von knapp einer Stunde nach Montebello haben.
Aber noch viel spannender ist meine momentane Arbeitssituation im Colegio de las Aguas, unserer wunderschönen Schule in Montebello. Ich habe mich inzwischen sehr gut eingelebt und habe viele verschiedene Aufgaben, von denen ich euch heute erzählen möchte.
Die meiste Zeit verbringe ich in meiner ersten Klasse gemeinsam mit Nancy, der Lehrerin. Die Klasse hat einige Kinder mit Lern- oder Konzentrationsschwächen, so zum Beispiel ein Mädchen mit Down-Syndrom, das besondere Aufmerksamkeit fordert. In meiner Klasse bin ich wirklich gerne, ich habe die Kinder sehr ins Herz geschlossen und verstehe mich sehr gut mit meiner lieben Lehrerin. Sie wird im Oktober nach Deutschland kommen, um ein Jahr, so wie wir hier, in einer Schule in der Nähe von Frankfurt Spanisch zu unterrichten. Dieses Projekt heißt Weltwärts-Reverse und ist das selbe, was wir machen, nur werden Menschen nach Deutschland entsendet, um dort eigene Erfahrungen zu machen und die Sprache zu lernen. Es ist ein sehr schönes Projekt und Nancy wird bestimmt ein spannendes Jahr in Deutschland verbringen. Wir beide haben auch schon angefangen, ein wenig Deutsch zu lernen.
Zurück zu meiner Arbeit: in meiner ersten Klasse und auch in der zweiten gebe ich den Englischunterricht, wobei die jeweiligen Lehrerinnen immer dabei sind und mich sehr liebevoll unterstützen. Das ist für mich ziemlich anstrengend, aber macht auch wirklich sehr großen Spaß. Es geht inhaltlich nur um die ersten, einfachsten Worte: Tiere, Farben, Familie oder Gegenstände im Klassenzimmer, sodass der Inhalt die kleinste Schwierigkeit ist. Vielmehr muss ich mir für den Unterricht pädagogische Methoden zur Motivation und zum Erlernen ausdenken, was nicht immer leicht ist, mir aber sehr gut gefällt.
Außerdem habe ich die letzte Woche mit meinem Deutschkurs in der Schreinerei angefangen. Die Themen passen wir hier auch den Interessen der Schüler_innen an, sodass wir uns mit den Vokabeln aus der Werkstatt beschäftigen, was Anna, die Vorfreiwillige, schon angefangen hat. Auch ich muss mich hinsetzen und Wörter wie „Kantenanleimer“ oder „Oberfräse“ auf Spanisch lernen.
Die Geigen- und Bratschenkinder haben inzwischen einen eigenen Lehrer, sodass ich Montag- und Mittwochnachmittags nun die Flötengruppe übernommen habe. Sie besteht aus ungefähr sieben Kindern aus den 4.-7.Klassen. Den Kurs darf man sich nicht so vorstellen wie vielleicht eine Flötengruppe in Deutschland. Alle Kinder spielen zusammen, ganz egal, ob sie gerade neu anfangen, oder schon seit einigen Jahren spielen. Das macht alles ziemlich kompliziert, weil man eigentlich zwei Gruppen auf einmal unterrichten muss. Wir haben trotzdem sehr viel Freude miteinander. Im Moment spielen wir ein Lied von der chilenischen Gruppe Inti Illimani, die andinische Folkloremusik macht. Danach möchte ich mit den Kindern gerne eine kleine musikalische Weltreise machen, um viele andere Länder mit ihrer fremden Musik kennenzulernen.
Am Freitag und Samstag hatten wir eine große Schulkonferenz, in der wir uns gegenseitig Projekte und Pläne für dieses Schuljahr vorgestellt haben. Es sind viele neue Ideen in mir entstanden, was ich die letzte Zeit hier noch machen und erreichen könnte. So steht als Erstes auf dem Plan, dass drei Freiwillige und ich in dem noch nicht fertigen Gebäude „La Vieja“ die Wände verputzen wollen, um den Bau ein bisschen voranzutreiben. Dafür haben wir uns nun erst einmal zwei Vormittage in der Woche Zeit genommen und hoffen, dass das Material so weit es geht reicht. La Vieja ist das Haus, in dem auch der Musikraum ist, den wir durch unsere Spenden unterstützen. Am 8.Mai werden wir dafür auch den geplanten Flohmarkt mit großer Unterstützung durch die Deutsche Schule Cali machen. Die Schüler_innen der Deutschen Schule haben viele Materialien, Klamotten und Spielzeug gesammelt, die wir gemeinsam, vielleicht auch mit eigenen Sachspenden, in Montebello verkaufen wollen. Die eingenommenen Gelder fließen dann in den Musikraum. Ein großes Dankeschön hier noch einmal an Dich, Robin, für Deine Hilfe!
Insgesamt ist es gerade wie immer wunderschön hier, ich fühle mich ein klein bisschen zu wohl in Cali, was es einem nicht leichter macht, sich Gedanken für danach zu machen. Ich weiß immer noch nicht, was ich studieren will, vielleicht hat ja jemand eine prima Idee?
Eine Sache sollte noch gesagt werden: Im März ist etwas sehr Besonderes hier in Cali passiert, was für mich wichtiger war, als man es sich vielleicht vorstellen kann. Man lebt hier sein Leben, sammelt Erfahrungen, gewöhnt sich an die unterschiedlichsten Dinge und beginnt sie zu lieben, teilt es mit vielen, vielen unglaublich lieben Menschen, erzählt es seinen Freunden in Deutschland, Australien und Afrika, aber niemand wird je verstehen, was mich hierher zurück ziehen wird, was ich an Kolumbien liebe und vermissen werde. Neben meinen Mitfreiwilligen wird es nur eine einzige Person mitempfinden können, die tatsächlich für vier Wochen um die halbe Welt gereist ist, um mich hier zu besuchen: mein Papa. An dieser Stelle möchte ich mich wirklich sehr bei dir bedanken, Papa, ich weiß nicht, ob du weißt, was mir Dein Besuch bedeutet hat.
Gemeinsam sind wir nach Buga und Salento gefahren. In Buga haben wir den Ort kennengelernt, in dem der Bambus aufgezogen wird, mit dem später zum Beispiel in meiner Schule gebaut wird. Ziemlich spontan sind wir noch in das Kaffeegebiet Salento gefahren, circa vier Stunden von Cali entfernt, in dem ökologischer Kaffee angebaut wird. Das war wunderschön und erholsam und wir beide hatten eine gemeinsame Zeit nur für uns, für Gespräche, und um Kolumbien einfach mal zu genießen, da wir in Cali nie so richtig Zeit hatten, weil mein Alltag wie gewohnt weiter gehen musste. Papa ich bin Dir wirklich unendlich dankbar, dass du mir diese Freude gemacht hast und wir nun eine gemeinsame, kleine Welt kennengelernt haben, die uns für immer verbinden wird. Danke!