Yo te cuento

Der Tag, an dem ich wirklich ankam

Ich hatte einen ziemlich anstrengenden Tag hinter mir. Die Bratschen in meiner Einsatzstelle wollten nicht so wie ich und das viele Spanischsprechen lässt den Kopf nach einem Monat manchmal noch ziemlich brummen. Aber der Tag war noch lange nicht vorbei, denn ich hatte mein erstes Konzert mit meinem Orchester in einem ziemlich modernen Hotel hier in Cali vor mir.
Um 16:00 ging es los, alle stiegen in einen der vielen aufregenden Busse und dann ging es in eine ziemlich andere Welt. Wir ließen das schöne, etwas chaotische Ambiente von Cali hinter uns, den Straßenlärm und die bunten Häuser und besuchten für drei Stunden eine Gesellschaft, die so anders ist als die, die uns im Moment umgibt.
Gefeiert wurde die 60-jährlige Unabhängigkeit der “Valle del Cauca”, der Ebene, in der Cali liegt. Viele bekannte und wichtige Personen kamen und irgendwie war es ein seltsames Gefühl, mit den Kindern, die sonst in Bellavista in brüchigen Hütten wohnen, in denen es bei Regen nass wird, die Welt der Reichen zu betreten. Wein wurde nur von der rechten Seite schluckweise eingefüllt, die Frauen präsentierten ihre Po-Polster in schwarzen, modernen Kleidern und die Herren hielten ihre Gläser für die Fotos zusammen, als stießen sie voller Stolz auf die Valle del Cauca an.
Zwischendurch durften wir wieder auf unseren Dachboden klettern, um auf den nächsten Auftritt zu warten. Jedes Schweigen, das vorher zwischen manchen Kindern und mir lag, war verschwunden. Meine Mentorin, die Sekretärin der Fundacion, die sonst eine ziemlich selbstbewusste Frau ist und sich gut in der Chefrolle zu behaupten weiß, nahm plötzlich ihr Smartphone, drehte Salsamusik laut auf und begann mit den Mädchen an zu tanzen. Wir fingen an, uns gegenseitig Zöpfe zu flechten und alles war anders als vorher. Gemeinsam planten wir, einen deutschen Tanzkurs zu machen, Discofox und Walzer stehen auf dem Programm, denn wenn sie mir dabei zusehen wie ich lerne, meinem Hinterteil den Kolumbianischen Schwung zu geben und ihn hin und her zu bewegen, können sie auch lernen, ihn trotz der Musik still zu halten. Was wird sich wohl als schwerer erweisen? So richtig haben wir es noch nicht heraus, wie man bei all´der Anstrengung auch noch entspannt aussehen kann.
Das Konzert war schön, zwar haben nicht alle auf die Bühne gepasst, sodass einige davor spielen mussten, aber es ist so schön zu sehen, wie trotz des Chaos und der laut sprechenden Menschen während der Musik alle noch so glücklich und zufrieden sein können.
Vielleicht versteht der ein oder andere noch nicht, warum ich von einem Konzert erzähle, wo es doch für uns alle etwas ganz normales ist. Aber dieses Konzert ist deshalb so wichtig, weil ich glaube, dass es der ausschlaggebende Moment war, in dem ich das erste Mal eine Beziehung zu den Jugendlichen aus meiner Fundación aufbauen konnte. Vielen geht es am Anfang hier so, doch jeder muss einen Weg finden, die Situation zu ändern, um einerseits als Lehrer, und andererseits als vertraute Person wahrgenommen zu werden. Das ist nicht immer leicht, aber wenn man das erst einmal geschafft hat, ist man überglücklich und die Energie, die einem am Anfang vielleicht manchmal fehlt, kehrt in vollen Zügen zurück.
Ich bin mit einem riesigen Lächeln im Gesicht und einer Leichtigkeit im ganzen Körper aus dem Bus gesprungen und war für diesen Moment vielleicht der glücklichste Mensch, als mir alle im ganzen, großen und vor Abgase stinkenden Bus zuwinkten und mit leuchtenden Augen „Chao Sofi“ riefen. Wie kann ein Tag so schön enden?!


 

 

 

 

Danke Papa

Es ist der Moment, wo man sich verabschieden muss. Der Moment, wo man sich ein letztes Mal im Arm hält und weiß, es wird dauern, lange dauern, bis man sich wieder sieht. Ich winke, dann sind sie weg. Das Auto fährt nach Hause. Ich sitze auf der Rückbank, völlig verschwitzt und noch ein bisschen angetrunken. Die bunten Kleider meiner Freunde verschwimmen vor den Augen und ich weiß: Nun ist es soweit - Ich gehe.
Ein Freund sitzt neben mir. Wir reden über den Abend. Unseren Abi-Ball. Wer hatte das schönste Kleid? Wer hat das Tanzbein am besten geschwungen oder wer hatte die schönste Frisur. Doch es klingt nicht. Es ist trocken und stumpf. Dann sind wir zu Hause. Allein, und ich denke: Will ich wirklich gehen? Kann ich alles so stehen und liegen lassen? Ein anderer Freund hatte nur noch gefragt: Wieso Kolumbien? Wieso bloß Kolumbien? Meine Tante hatte dasselbe gefragt. Sollte ich nun zweifeln?
Ich sitze auf meinem Bett, die Füße tun weh. Ich denke an alles, was mir mit auf den Weg gegeben worden ist. „Komm bitte heil wieder!“, „Kolumbien, da gibt es doch nur Drogen und Gewalt!“ oder „Sophia, das muss doch nicht sein, geh doch lieber nach Australien oder Neuseeland!“.
Eigentlich wollte ich standfest bleiben, allen sagen, dass es das Richtige sei. Ich wollte wenigstens selber daran glauben, aber so langsam komme ich ins Zweifeln. Wieso geh ich nicht einfach in eine schöne, große Stadt, studiere irgendetwas und fahre jede Ferien nach Mallorca oder meine Freunde besuchen, starte ein sicheres, geregeltes Leben?
Langsam fallen mir die Augen zu. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich schon auf der Seite liege. Ich stütze mich noch einmal hoch, ziehe mein Kleid aus. Es fällt müde auf den Boden und zerfällt zu einem kleinen, grünen Haufen. Ich tu es ihm nach und merke erst am nächsten Morgen, dass ich wohl eingeschlafen sein musste.
Sollte das die Ausgangssituation sein, um zum weltwärts-Vorbereitungsseminar nach Frankfurt zu fahren?
Ich sitze mit meinem Papa am Frühstückstisch. Die Stimmung ist nicht besonders frisch, eher ein bisschen trübe, wir hängen schweigend auf unseren Stühlen und kauen lustlos an einem Käsebrot. Er sagt: „Schön, dass du nach Kolumbien gehst!"
Ich denke: Danke Papa!


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen